A. Brunnengräber: Die politische Ökonomie des Klimawandels

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Title
Die politische Ökonomie des Klimawandels.


Author(s)
Brunnengräber, Achim
Series
Ergebnisse Sozial-ökologischer Forschung 11
Published
München 2009: Oekom Verlag
Extent
252 S.
Price
€ 34,90
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Severin Fischer, Institut für Europäische Politik, Berlin

Das Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen hat das ohnehin geringe Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit internationaler Klimapolitik weiter beschädigt. Daran konnte weder die überwältigende mediale wie öffentliche Aufmerksamkeit, noch die Demonstrationen tausender Aktivisten oder die Präsenz der rund 120 Staats- und Regierungschefs etwas ändern. Statt Antworten auf eine drohende Klimakatastrophe zu finden, wurde selbst der kleinste gemeinsame Nenner im Klimaschutz, der „Copenhagen Accord“, nicht formell vom Plenum der Konferenz verabschiedet, sondern musste sich in letzter Minute mit dem Status der Kenntnisnahme durch das Plenum der Klimakonferenz zufrieden geben. War dieser Fehlschlag nun das Ende der internationalen Klimapolitik wie wir sie kennen?

Der Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber widmet sich in seiner überarbeiteten und aktualisierten Habilitationsschrift der Frage nach den Begründungsmustern und Steuerungsansätzen internationaler Klimaschutzanstrengungen. Im Mittelpunkt seines Werkes steht das Konzept der „Global Governance“, dem er sich im ersten Kapitel zuwendet. „Global Governance“, als gleichermaßen offenes wie inflationär gebrauchtes Analysemuster, dient dem Autor als konzeptioneller Rahmen, in dem die meist als global beschriebene Problematik des Klimawandels untersucht werden kann. Dabei zeigt Brunnengräber verschiedene Theoriestränge zur Analyse von Governance (Regime, Regulationstheorie, Steuerungstheorie) und unterschiedliche Dimensionen globaler Wirkungszusammenhänge auf. Für Brunnengräber steht die Frage im Mittelpunkt, wie ein „Problem konstituiert wird und welche polit-ökonomischen Interessen im Rahmen von Global-Governance durch welche politischen Formen und Regeln und unter Zuhilfenahme welcher Steuerungsinstrumente durchgesetzt werden“ (S. 55).

Um Klimapolitik anhand eines globalen Steuerungsmodells zu untersuchen, müsse zunächst präzisiert werden, ob der Klimawandel und seine Ursachen tatsächlich globale Phänomene sind. Brunnengräber versucht zu zeigen, dass es sich beim Klimawandel „sowohl um ein systemimmanentes, gesellschaftliches wie auch ein individuelles Risiko mit sehr unterschiedlichen Betroffenheiten handelt“ (S. 59). Dabei wird argumentiert, dass das „Konfliktfeld Klima“ keinesfalls eine global homogene Verursacher- und Betroffenenstruktur besitzt, sondern stattdessen ein Ringen um zwei unterschiedliche Seiten ein und derselben Medaille vollzogen wird. Zwar werde im Klimadiskurs von globalen Erwärmungsszenarien und einem weltweiten Phänomen gesprochen, doch unterscheiden sich die Verursacher des Problems (historisch und absolut) von den Leidtragenden aus regionaler und sozialer Sicht grundlegend. Das der globalen Erwärmung zu Grunde liegende Phänomen der Wachstumsdogmatik setzte sich, so Brunnengräber, jedoch selbst in den Lösungsansätzen für das Problem fort. Ein „Green New Deal“ soll dabei etwa die Bewältigung des Klimawandels unter den Bedingungen ungebremsten Wachstums verheißen. Anhand mehrerer Beispiele zeigt Brunnengräber, wie die Ökonomisierung der Problemlösung zu einer Entfremdung von Handlung und Wirkung in modernen Gesellschaften führt. Letztlich werde die Ursache des Problems, die veränderten gesellschaftlichen Naturverhältnisse, nicht lokal, sondern in immer komplexer werdenden internationalen Arenen und damit in Formen der klassischen Top-Down-Strategie der Internationalen Beziehungen bearbeitet.

Anhand einer logischen Trennung des Inputs (Rohstoffe) vom Output (Klimagase) zeigt der Autor in seinem Kapitel „Ressourcen und Emissionen“ die Wirkungszusammenhänge zwischen dem klassischen Energieregime und der Klimaproblematik auf. Leider scheint Brunnengräber an dieser Stelle vom Bedürfnis getrieben, den Leser anhand einiger unterkomplexer Darstellungen mit „praktischem Wissen“ versorgen zu müssen. Unklar bleiben etwa die zahlreichen, teils nur angedeuteten Zusammenhänge zwischen militärischer Gewaltanwendung und dem Transport fossiler Rohstoffe. Ebenso vereinfacht bietet der Autor eine dezentral orientierte erneuerbarer Energienpolitik als Lösungsmodell an, die im Kontext der globalen Urbanisierungstrends an dieser Stelle weiterer Ausführungen bedürfte. Brunnengräber deutet in diesem Abschnitt allzu häufig einfache Erklärungen für komplexe Wirkungszusammenhänge an.

In seiner folgenden Darstellung der Klimaverhandlungen seit den 1970er Jahren wirft Brunnengräber einen Blick auf die unterschiedlichen Lösungsansätze der internationalen Klimapolitik. Seit der Einführung des Emissionshandels und Nutzung flexibler Mechanismen wie des Clean-Development-Mechanism (CDM) oder der Joint Implementation (JI), könne eine weitreichende Ökonomisierung der Klimapolitik beobachtet werden. Dabei fielen dezentrale erneuerbare Energienkonzepte unter den Tisch, stattdessen werde auf Lösungsansätze innerhalb des existierenden Fossilismus gesetzt. Das Problem des Klimawandels wurde durch die Inwertsetzung der Atmosphäre zu einem Geschäftsmodell, das in der Folge von denjenigen Akteuren genutzt werden könne, die für die Verursachung des Problems verantwortlich seien: „Ziel ist es, Wachstum und die Effizienz der Märkte zum Klimaschutz zu nutzen,wo doch genau diese Wachstums- und Effizienzlogik Grundlage für die zerstörerende ökologische Wirkungskraft der Industrialisierung seit ihrem Bestehen war. Was als klimapolitische Notwendigkeit angesehen wird, ist faktisch die interessengeleitete Anpassung an weltwirtschaftliche Sachzwänge“ (S. 143/144). Aus diesem Grund lasse sich weder Erfolg noch Misserfolg von Klimakonferenzen bemessen. Ihre eigentliche Bewertungsgröße liege für die Entscheidungsträger in der ökonomischen Reichweite eines Kompromisses.

Um ein besseres Verständnis der Zusammenhänge von globaler „Climate Governance“ zu bekommen, widmet sich Brunnengräber in einem eigenen Kapitel der Akteurskonstellation auf unterschiedlichen Verhandlungs- und Entscheidungsebenen. Während die Darstellungen der staatlichen Akteure anhand einzelner Länder oder Ländergruppen und die Beschreibung einzelner Institutionen wiederum selten über Allgemeinplätze und Vermutungen hinauskommen, gelingt Brunnengräber ein lesenswerter Abschnitt über die Entwicklung der NGOs in den internationalen Klimaverhandlungen. Ihre Wandlung in netzwerkartige Strukturen und die Integrationsfähigkeit in das internationale System stellen sie als prägende Elemente heutiger Klimaverhandlungen dar. Gleichzeitig hätten sich viele Nichtregierungsorganisationen damit von ihren Gründungsgedanken und ihrer eigenen Basis entfernt. Ein Gratwanderung, die nicht selten existenzielle Fragen für diese Organisationen aufwirft.

In einem abschließenden Kapitel bemüht sich Brunnengräber um eine zusammenfassende und gleichermaßen vorausschauende Konzeptionalisierung der unterschiedlichen Dimensionen von „Global Governance“. Zunächst konstatiert er eine zunehmende Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Fragen globaler Reichweite, die insbesondere in der Klimapolitik augenfällig wird. „Nicht ethische Fragen oder Fragen nach den Lebensbedingungen zukünftiger Generationen bestimmen den dominierenden Klimadiskurs, sondern die Frage nach den Kosten des Klimawandels und der Instrumente“ (S. 198). Dabei kommt er zum Schluss, dass ökonomische Instrumente heute zu komplex und ihre Wirkungsbreite zu begrenzt seien, um tatsächlich Emissionsreduktionen zu erreichen. Stattdessen müssten andere Wege eigeschlagen werden, innerhalb derer Ökologie wieder in den Mittelpunkt des Handelns gerückt werde. In weiteren Abschnitten diskutiert Brunnengräber den Wandel von Staatlichkeit, erhebt Anklage gegen den globalen „Steuerungsoptimismus“ und analysiert Potenziale und Grenzen globaler Demokratie. Schließlich kommt der Autor auf den Kern seiner Ausführungen zu sprechen: Den Kampf um Hegemonie. Die diskursive Trennung von Energiesicherheitsfragen auf der einen und globalen Klimadebatten auf der anderen Seite, habe stets zu einer Dominanz ersterer über letztere geführt. „Internationaler Wettbewerb und wirtschaftliches Wachstum bleiben die Paradigmen, denen jedwede klimapolitische Bearbeitungsform untergeordnet wird“ (S. 225). Bislang sei die Verbindung aus Liberalisierung- und Deregulierungskräften mit staatlichen Akteuren und der fossilen Energiewirtschaft zu eng und zu machtvoll, um ihre hegemoniale Dominanz international zu durchbrechen. Doch sollten sich eines Tages die erwarteten Ergebnisse durch den Einsatz marktkonformer Instrumente nicht bestätigen, könnte die bestehende internationale Institutionenstruktur aufgelöst und durch neue Governance-Modi ersetzt werden. Der bereits vollzogene Auflösungsprozess staatlicher Dominanz in der internationalen Arena habe somit die Möglichkeit geöffnet, auch andere Akteure auf diese Ebene vordringen zu lassen.

Mit dem Titel „Die politische Ökonomie des Klimawandels“ weckt Achim Brunnengräber große Erwartungen, die er durch kluge Analyse meist auch erfüllen kann. Begonnen mit der Veränderung von Staatlichkeit in einer globalisierten Welt bis hin zur Rolle neuer Akteure in zunehmend grenzenlosen Räumen, bezieht der Autor den Forschungsstand zu Fragen von „Global Governance“ in seine Beobachtungen zum Konfliktfeld Klima mit ein und liefert überwiegend neue Perspektiven auf die (vermeintlichen) Grenzen weltweiter Problemlösungsfähigkeit. Leider wird die gute Analyse allzu oft durch überflüssige Wertungen und unterkomplexe Erklärungszusammenhänge durch den Autor selbst untergraben. Weder liefert Brunnengräber eine ausreichende Erklärung für die unsichtbare Hand des „fossilistischen Energieregimes“, noch stellt er wichtige Wirkungszusammenhänge, wie etwa zwischen der häufig lokal verfügbaren und global zunehmend genutzten Ressource Kohle und den Klimafolgen ihrer erweiterten Nutzung dar. Unnötigerweise wird stattdessen auf die Rolle der Kernenergie eingegangen, die global betrachtet, kaum eine relevante Rolle in der Energiestruktur spielt. Ebenso vernachlässigt Brunnengräber eine differenzierte Betrachtung der häufig kritisierten „flexiblen Instrumente“ der internationalen Klimapolitik und konstatiert stattdessen ausnahmslos neoliberale Interessenpolitik der Industrieländer. Auch an dieser Stelle hätte eine Darstellung der Instrumente mit Blick auf ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten, etwa bei der Förderung erneuerbarer Energien, dem Buch einen nützlichen Blick über den Tellerrand hinaus verliehen. Insgesamt mangelt es dem Werk leider allzu oft an einer konstruktiven Kritik bestehender Problemlösungsansätze.

Trotz der nur schwer zu übersehenden ideologischen Einfärbung liefert Achim Brunnengräber einen interessanten und nützlichen Beitrag zu einer höchst aktuellen Debatte.

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09.07.2010
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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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